Im Westen nichts Neues – Ein Rädchen im Uhrwerk

Ernst Jünger beschreibt in seinem Werk „In Stahlgewittern“ die Erlebnisse eines jungen Infantristen an der Deutschen Westfront im ersten Weltkrieg. Jünger schildert hier, wie auch Remarque, den modernen Krieg als Teil einer maschinellen und industrialisierten Welt wo der einzelne Soldat nur noch einen unbedeutenden Bestandteil einer gigantischen Kriegsmaschine darstellt. Der Krieg nimmt die Gestelt der modernen Fabrik an in der die anonymisierten Menschen in der Gesamtheit der totalitären Maschinerie verschwinden. Dieses ist auch die Weltanschauung welche Remarque in seinem Werk „Im Westen nichts Neues“ zum Ausdruck bringt. Beide Autoren sehen in der Welt um sie herum den Triumph der Maschinen und die Eingliederung des Menschen in dessen System, von den Waffen und dem Granatenhagel an der Front zu der Organisation hinter den Linien, den Lazaretten welche am laufenden Bande nach der Logik des Fordismus arbeiten und wie am Fließband der ständige Nachschub an Soldaten  mit dem Nachschub von Särgen begleitet wird. Leben und Tot sind in dieser Welt ins kleinste Detail im Voraus berechnet und geplant.

Die Werke Jüngers und Remarques unterscheiden sich darin, dass Jünger im beinahe hegelianischen Stile seinen Blick fest auf die Gestaltung der modernen Kriegsmaschinerie richtet: er beschreibt somit die Maschine an sich, das anonyme Kollektiv. Was in den Gedanken des Infanteristen vor sich geht, der uns diese Welt des Jüngers schildert, erfahren wir nicht viel von. Remarque bietet uns eine Mikroperspektive von Jüngers Kriegsfabrik, welche uns die Gedanken, Träume, Hoffnungen und Ängste eines Soldaten im ersten Weltkrieg nahe bringt. Wo Jünger uns einen Menschen zeigt der uns seine Zeit als Bild malt, schildert Remarque jemanden der mit der Welt um sich herum von sich selbst erzählt. Was hierbei entsteht und was ich als Kernpunkt dieser Erzählung empfinde, ist die Spannung zwischen dem Kollektiv und dem Individuum, dargestellt im Verhältnis zwischen Kriegsmaschine und dem einzelnen Soldaten.

NZ-juenger

Durch die gesamte Erzählung Remarques hindurch stellt das Kollektiv in der Heimat außerhalb der Front so etwas wie ein Gegenstück zum einzelnen Soldaten dar. Hier bilden sich deutlich zwei Welten ab, die von ganz verschiedenen Erfahrungen und Idealen geprägt sind. Die Selbstverständlichkeit der heroischen Pflichterfüllung im Kriege ist eine der Ideale des Kollektivs in der Heimat. Paul Bäumer ist einer der vielen Soldaten die sich bei Kriegsausbruch als Freiwillige melden, hierdurch wird schon früh in der Erzählung der kollektive Druck geschildert dem die zukünftigen Rekruten von allen Seiten ausgesetzt sind. Angespornt von den heroischen und vaterländischen Reden des Klassenlehrers Kantorek begibt sich die ganze Klasse Bäumers heiter zu den kaiserlichen Streitkräften. Auch der Schüler Josef Behm, welcher als einziger in der Klasse vor dem Selbstverpflichtung zögert, wird von seinen Kameraden zum Dienst überredet. Der Satz „er hätte sich auch sonst unmöglich gemacht“ zeigt auf das gesellschaftliche Klima der Zeit, denn „mit dem Wort feige waren um diese Zeit sogar Eltern rasch bei der Hand“. Sogar Pauls Vater, statt seine Sorge für den Sohn auszudrücken, meint das er die Situation dieser Heldenjugend beneidet. Als neunzehnjährige Jungen verlässt sich diese Generation blind auf das Wissen der Älteren, doch wird Paul Bäumer im Granatenregen bald klar, dass dieses Wissen nichts mehr mit der Realität an der Front zu tun hat. „Während sie noch schrieben und redeten, sahen wir Lazarette und Sterbende […], wir liebten unsere Heimat genau wie sie, […] aber wir unterschieden jetzt, wir hatten mit einem Male sehen gelernt. […] Wir waren plötzlich auf eine furchtbare Weise allein – und wir mussten allein damit fertig werden“. Remarque macht hier die Unterschiede der Perspektiven in Sachen Pflichterfüllung und Realität des Krieges deutlich, die zwischen den Soldaten an der Front und den Menschen zuhause herrschen. Beinahe lächerlich empfindet einer die Szene, als Paul am Stammtisch des Vaters sitzend von dessen Freunden keinen Glauben für seine nüchternen Berichte von der Front findet, mit der Erklärung, er könne die Situation im Gegenteil zu ihnen nicht richtig einschätzen.

Die Perspektiven unterscheiden sich auch in anderen wichtigen Bereichen. Im Gespräch am Stammtisch wird  auch die allgemeine Homogenisierung der Soldaten deutlich, „Na, wie steht es draußen“, und „Wie ist denn der Geist dort?“ sind repräsentativ für das Bild der Armee als ein einheitliches Organ in dem die Präsenz von Individuen keine Rolle mehr spielt. Der Blick sieht nur das maschinelle Gesamte, das Uhrwerk in dem das einzelne Rad keine Bedeutung an sich mehr hat. Das die verschiedenen Teile dieses Uhrwerkes eigene Mechanismen besitzen, dass das Geschehen im Kasernenhof , im Schlachtfeld und bis ins Lazarett variieren und eine eigene Wirkung auf das Gesamte ausüben, dieses sind Dinge welcher dieser Blick nicht zu erfassen vermag. Dieses gilt natürlich auch für die Menschen in diesem Uhrwerk und Remarque lässt uns durch Paul Bäumers Berichte verstehen, welche Bedeutung die individuellen Schicksale an der Front für die Kameraden und den Krieg als Ganzes haben. Als diese Generation zum Krieg verführt oder gezwungen wurde, wurden die verschiedenen Voraussetzungen der Individuen vergessen und es ist vielleicht gerade deshalb kein Wunder das Josef Behm, der von seinen Kameraden zur Front überredet worden war, einer der ersten aus Bäums Klasse ist der fällt. Ist es überhaupt überraschend, dass der Soldat Detering, ein Bauer der nur an seinen Hof und seine Frau denkt, auf der Flucht nach Hause als Deserteur hingerichtet wird? Oder das Franz Kemmerich, der eines Tages Förster werden will, nach der Amputation seines Beines keine Kraft mehr zum leben hat und im Lazarett stirbt?  Ebenso wie die Individuen aus Bäums Generation unterscheiden sich auch die Generationen untereinander. Wo die älteren Soldaten noch Hoffnung haben, nach dem Krieg zu ihren Familien und Berufen zurückzukehren, zeigt die Fremdheit die Bäumer zuhause erlebt und die Geborgenheit die er beim Kommiß empfindet, das es sich hier um eine Generation handelt die nach ihrer Jugendzeit nie etwas anderes kennengelernt hat als den Krieg und vielleicht auch niemals etwas anderes zu kennen lernen kann.

Was Remarque tut ist dem einzelnen Soldaten ein Gesicht zu geben, aus dem Soldaten einen Menschen zu machen in dem wir uns auch in der heutigen Zeit widerspiegeln können. Paul Bäumer kämpfte nie gegen eine Person, er kämpfte gegen anonyme Bajonette, Kugeln, Granaten und Messer. Erst als erfahrener Soldat würde er einem seiner Opfer als Person gegenüberstehen, ein Erlebnis das sein Dasein als Soldat für immer verändern sollte. Die Anonymität, das Kollektiv, scheint das Töten zu erleichtern. Remarque warnt uns vor diesem anonymen Kollektiv und es ist wegen diesem Konflikt zwischen Kollektiv und Individuum das Remarques Buch mit den Zeilen endet „Er fiel am Oktober 1918 an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, dass der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte , im Westen sei nichts Neues zu melden“.

Advertisement

Leave a Reply

Fill in your details below or click an icon to log in:

WordPress.com Logo

You are commenting using your WordPress.com account. Log Out /  Change )

Facebook photo

You are commenting using your Facebook account. Log Out /  Change )

Connecting to %s