Von Wikingern und Pegida

I see now more clearly than ever before that even our greatest troubles spring from something that is as admirable and sound as it is dangerous – from our impatience to better the lot of our fellows – Sir Karl Raimund Popper

Hand aufs Herz, ist denn wirklich jemand überrascht von den Ereignissen der letzten Monate? Wenn wir über unsere Empörung über Pegida zu Charlie Hebdo hinweg schauen, müssen wir doch feststellen, dass die aktuellen Ereignisse das Resultat von Strukturen sind, welche wir schon seit Jahren, teilweise sogar Jahrzehnten, haben verfolgen können. Jetzt wo diese wieder zu aktuellen Themen der Gesamtgesellschaft, den Medien und der Politik geworden sind, entdecken wir gleichzeitig die Chance zu einer öffentlichen Debatte um unsere äußerst komplexe Zeit besser verstehen zu können. Umso trauriger ist es, dass diese Möglichkeit einer Kritik, der objektiven Beurteilung, nur von wenigen als solche wahrgenommen und genutzt wird. Ebenso bekannt wie die aktuellen Themen der Einwanderung und Ethnizität, sind uns auch die Standardargumente und Parolen aus dem gesamten politischen Spektrum, welche heute überall vernommen werden können. Diese bilden die Grundlage einer Pseudodebatte, über einige der wichtigsten Themen unserer Zeit.

Mut können wir vielleicht daraus schöpfen, dass wir in Deutschland nicht die einzigen sind welche nicht dazu im Stande sind, zu diesem Thema eine Debatte zu führen die ihres Namens würdig wäre. So klischeehaft es auch klingen mag, wenn wir uns die Situation unserer Nachbarländer anschauen, können wir, von den kulturellen, sozialen und geschichtlichen Unterschieden einmal abgesehen, möglicherweise etwas über uns selber und dem lernen was uns noch bevorstehen mag.

Eines der Länder, welches in Fragen bezüglich Einwanderung, Integration, Religion, Ethnizität und Nationalität, deutliche Parallelen zur Lage in Deutschland aufweist, ist ein für die meisten unerwarteter Kandidat. In den letzten Wahlen erzielte hier die rechtspopulistische Partei fast 13 Prozent der Wahlstimmen und wurde somit die drittgrößte Partei des Landes. Nein, es handelt sich nicht um die Partij voor de Vrijheid oder der Front national. Es waren stattdessen 801.178 Schweden, die an die Schwedendemokraten doppelt so viele Stimmen vergaben wie an die schwedischen Grünen.

Entsprechend groß war die Empörung der Schweden im September 2014. Handelt es sich denn hier nicht um die toleranteste Gesellschaft überhaupt? Mit den liberalsten Einwanderungsgesetzen Europas? Die Reaktion auf den Wahlausgang im Land der Toleranz erscheint heute noch sehr gespielt von dem Hintergrund aus gesehen, dass die Schwedendemokraten bei jeder bisherigen Wahl ihre Position stets stärken konnten und eine Überschreitung der 10% Marke zu erwarten war. Obwohl man keine Sympathien für diese Partei hegen muss oder von ihrer Kompetenz überzeugt sein muss, sollte man nicht ihr strategisches Geschick unterschätzen Stimmungen der Gesellschaft aufzufangen, was der Partei doppelt so viele Stimmen beschert hat als noch zu den letzten Wahlen in 2010.

Eine These die es in Schweden schon seit längerem gibt besagt, dass der Erfolg der Schwedendemokraten auf dem Scheitern der Regierungs- und Oppositionsparteien beruht. Wobei dies nicht vollkommen falsch ist, wird hier lediglich ein kleiner Bruchteil der wirklichen Problematik zum Ausdruck gebracht. Der Beschluss der großen schwedischen Parteien sich weder auf Verhandlungen noch auf Diskussionen mit den Schwedendemokraten einzulassen mag, wie viele meinen, dazu beigetragen haben diese als eine Partei des Widerstands und als eine wirkliche Alternative zur aktuellen Politik zu etablieren. So benimmt sich die Partei auch im schwedischen Reichstag. Generell ist man erstmal gegen alles. Diese Parteiidentität spricht natürlich besonders die Bürger an, welche sich von den etablierten Parteien und der Politik als Ganzes im Stich gelassen fühlen. Die Parteien hätten die Situation natürlich auch ganz anders handhaben können. Vielleicht hätte man den Schwedendemokraten auf offenem Felde begegnen sollen. Nicht wenige meinen, dass man somit die Chance gehabt hätte die offensichtliche politische Inkompetenz der Parteiführung öffentlich zu entblößen, ganz zu schweigen von den unbegründeten Vorurteilen welche den Argumenten der Partei oftmals zugrunde liegt. Ich hege einiges an Sympathie für diesen Standpunkt, denn es scheint mir die demokratischste Umgangsform mit einer Partei zu sein, welche immerhin 13 Prozent der Bevölkerung repräsentiert. Egal was man von den Wählern oder ihrer Partei halten mag. Auch würde dies der eigenen Glaubwürdigkeit dienen, denn wer gediegene Belege für den eigenen Standpunkt besitzt hat eine Diskussion nicht zu fürchten.
Das Problem mit diesen Szenaren ist, dass sie sich auf etwas Vergangenes beziehen und durch das Abändern einer Variabel sich eine andere Gegenwart erhoffen. Das „was wenn“ gehört, wie Helmut Schmidt es so schön ausdrückt, in den Raum der Geschichtsspekulation. Im Endeffekt wissen wir, besonders im sozialen, zu wenig über die kausalen Zusammenhänge um etwas über eine andere theoretische Zukunft behaupten zu können. Um die heutige Zeit zu verstehen tun wir stattdessen gut daran die heutigen Phänomene in ihrer aktuellen Befindlichkeit zu sezieren. Erfahren müssen wir deshalb wie die etablierten schwedischen Parteien die Kernfragen der Schwedendemokraten gehandhabt haben, oder vielleicht wäre es treffender zu sagen, wir man sie vermieden hat.

Bevor ich fortfahre braucht es leider einiger vorbeugender Kommentare. So leid es einem auch tut dies explizit erklären zu müssen, ich glaube an keine Maxime welche in irgendeiner Art und Weise Menschen randordnet und einen entsprechenden Wert zuteilt und habe das Privilegium gehabt Freundschaften mit Menschen aus den verschiedensten Lebenssituationen zu teilen, mit mehr Variationen als der Freundeskreis der meisten Verfechter der kulturellen Vielfalt. Gewiss, ich habe eine gewisse Abneigung gegenüber der Dummheit, Dummheit kennt aber keine Hautfarbe, Religion, Geschlecht, Klasse, Kultur. Ich würde die Dummheit auch nicht segregieren oder in Foucaults Sinne „behandeln“ wollen, im Zweifelsfall handelt es sich im Endeffekt ja um eine subjektive Einschätzung. Leider scheint es in diesem Kontext immer notwendig diese Art von Erklärungen im Vorfeld abzugeben. Paradoxerweise sind die, welche sich als Feinde der vorgefassten Meinungen erklären, oftmals dieselben die Menschen einen Stempel aufdrücken ohne ihnen erst zugehört zu haben. Nachdem wir dieses Thema jetzt hoffentlich geklärt haben, können wir mit hoffentlich mit einer wissenschaftlich objektiven Zielsetzung fortfahren.

Die Kernproblematik der Schwedendemokraten liegt laut eigener Aussage in den Folgen einer angeblich zu liberalen Einwanderungspolitik. Einerseits seien die neuen Schweden eine enorme finanzielle Belastung für den Staat, andererseits hat eine fehlgeschlagene Integrierung auch für soziale Probleme und eine allzu schnelle und radikale kulturelle Veränderung des Landes gesorgt.
Nun repräsentiert jede dieser Fragen ganze Forschungsfelder und wie man die Forschung interpretiert hängt nicht selten davon ab welcher wissenschaftlichen- oder ideologischen Tradition man sich verschrieben hat. Derjenige, der die Welt lieber mit einer sachlichen Nüchternheit betrachtet, wird allerdings nicht um die Einsicht herumkommen können, dass in Schweden, sowie in Deutschland und dem europäischen Raum, eine wirkliche Migrations- und Integrationsproblematik existiert. Über dessen Ursachen und Folgen kann, wie gesagt, viel diskutiert werden. Problematisch ist, hier gebe ich den Wählern der Schwedendemokraten und den Pegida-Anhängern recht, dass dieses nicht wirklich getan wird. Schweden ist ein Paradebeispiel für ein Gesellschaftsklima in dem eine Diskussion über Themen wie Migration und Ethnizität jenseits von Parolen und ideologischen Floskeln nicht länger stattfinden kann. Eine im klassischen Sinne kritische Einstellung wird meist sofort abgetan, als würde dies automatisch ein rassistisches oder nationalistisches Gedankengut implizieren. Nicht zuletzt bilden diese Themenbereiche auch ein Schlachtfeld für den Kampf zwischen Rechts und Links, jede Seite ist deshalb auch stets darum bemüht herauszufinden auf welcher Seite man steht. Dem der sich neutral verhalten möchte bleibt oftmals nur das Schweigen. Jeder der mal versucht hat weder Stellung für Israel noch für Palästina zu beziehen wird diese Situation wiederkennen.

Das kritische Denken, etwas das ich jedem Politiker abverlangen und mir auch von jedem meiner Mitbürger wünschen würde, wird im Zusammenhang mit den genannten Themen zumeist nicht als die Kunst der Beurteilung, sondern als ein Angriff auf die menschliche Gleichberechtigung (alternativ des Vaterlandes oder der abendländischen Kultur) interpretiert. Die Einwanderungspolitik hat sich unter vielen Jahren zu einem politischen Tabu entwickelt, gefühlsmäßig und ideologisch geladener Sprengstoff der nicht objektiv untersucht werden kann ohne das der braune Verdacht geweckt wird. Ein Stempel der unter Umständen das politische Aus sowie Probleme im privaten mit sich führen kann. Es gilt: Wer am lautesten Rassist rufen kann hat gewonnen. Das die Politik diese Debatte nicht gerne führen will ist verständlich.
Letztendlich besteht trotzdem die Tatsache, dass Teile der Einwanderungspolitik problematisch sind und diskutiert werden müssen. Das das Phänomen der Migration an sich Probleme für jeden Staat mit sich führt, hat Michele Foucault in seiner Analyse des Bedürfnisses des staatlichen Apparates seine Bevölkerung, dessen Eigenschaften und Entwicklung voraussehen und analysieren zu können bereits gezeigt. Die Ein- und Auswanderung ist von dieser Perspektive aus gesehen ein rein administratives Problem. Und umso grösser der Staatsapparat, desto wichtiger sind für seinen Erhalt die Strukturen welche sich auf die Organisation der Bevölkerung auswirken. In einem Land wie Schweden, wo der Staat seine Hand beinahe in jeder Instanz des alltäglichen Lebens im Spiel hat, ist diese Problematik nicht zu unterschätzen. Eine derartige Analyse mag sehr akademisch oder distanziert erscheinen, nichtdestotrotz zeigt sich anhand dieses Beispiels deutlich, dass die Eiwanderungsproblematik nicht notwendigerweise bei den Einwanderern oder bei rassistischen Strukturen zu finden ist. Viele der aktuellen Probleme sind in äußerst komplexen und unterliegenden Strukturen zu finden, sei es nun der Diskurs einer deterministischen Kulturinterpretation oder die institutionelle Einrahmung des Lebens welche seit der Moderne auf die Identität der betroffenen Individuen einwirkt. Man sollte auch nicht die Unmengen an Institutionen und Forschungseinrichtungen vergessen, welche sich mit diesen Fragen befassen. Gewiss, als Anhänger Foucaults sehe auch ich die Diskurse welche durch die Institutionen ausgeübt werden, doch die Existenz der Institutionen an sich muss trotzdem im gewissen Grade auf die Menge und Komplexität der Fragen hindeuten, die wir zu verstehen und zu lösen versuchen. Hier werden wir nicht näher auf die genannten Strukturen eingehen, es genügt uns die Feststellung, dass die Einwanderungsproblematik sehr viel komplexer ist als die politische und gesellschaftliche Debatte den Anschein erweckt.

Im Endeffekt gibt es vieles was diskutiert werden muss wenn wir eines Tages die Problematik bezüglich Einwanderung, Ethnizität, Integrierung, Rassismus und Nationalismus verstehen wollen, in Schweden sowie auch in Deutschland. Dessen ist sich gewiss auch die Majorität der schwedischen Politiker bewusst, aber unter dem herrschenden Diskurs ist es fraglich ob sie diesem Wissen auch Folge leisten können. Die Existenz wirklicher Probleme haben auch viele Schweden begriffen. Ich nehme an, dass viele dieser Bürger zu denen gehören welche die Schwedendemokraten zur drittgrößten Partei Schwedens gemacht haben. Oder für Pegida auf die Straße gehen. Ich bin mir allerdings auch sicher, dass die Diskussion und die Resultate welche sich eine Menge dieser Menschen erhoffen entweder anspruchsvoller sind als das was die jeweilige Bewegung ihnen bieten kann, oder eine objektive Diskussion vielen trotzdem nicht passen würde. Dies sollte aber nicht von dem Faktum ablenken, dass sich viele Schweden eine Debatte wünschen, welche nicht einfach mit dem Verweis auch Menschenrechte und der Rhetorik der Fremdenfeindlichkeit entlassen wird. Obwohl die Schwedendemokraten, sowie Pegida oder die AFD, eine derartige Diskussion nicht führen können, weil ihnen ganz einfach die entsprechende Kompetenz fehlt, leben sie von dem Selbstbild die einzigen zu sein welche die Fragen ernst nehmen die offensichtlich viele Bürger beschäftigen.

Was sich viele Wähler der Schwedendemokraten unter einer wirklichen Einwanderungsdebatte vorstellen mag nicht der Objektivität dienen welche sie selbst verlangen, korrekt ist allerdings die Einsicht, dass heute keine kritische Debatte existiert. Verhängnisvoll ist dazu die aktuelle Situation in der es wenig zumutbare Alternativen zu den heutigen Bewegungen mit deutlich zweifelhaften Ursprüngen gibt. Wieso nehmen wir die Herausforderung dann nicht an, springen über unseren eigenen Schatten, setzen uns mit der Thematik kritisch auseinander, verwenden jede zugängliche Perspektive, befreien uns von unserem Stolz und stellen sogar unsere eigenen Meinungen und Werte in Frage? Dies wäre eine Möglichkeit die Populisten zu entwaffnen, gleichzeitig wäre es auch die demokratischste Lösung. Es mag einen überraschen, dass in einem Land wie Schweden diese Themen mit einem derartigen Tabu belegt sind. Hier gab es kein Auschwitz. Feldzüge liegen 200 Jahre in der Vergangenheit. Kontraproduktiv scheint einem daher die Reaktion in Schweden auf den Ausgang der letzten Wahlen. Gewiss, es gibt schlimmeres als die Flut an Facebookaufrufen, Wähler der Schwedendemokraten mögen sich als selbst als Kontakt entfernen, da sie ekelhafte Menschenverachter seien. Bagatelle der sozialen Medien, gewiss, andererseits aber auch repräsentativ für eine weit verbreitete Einstellung gegenüber denen die einem nicht in den Kram passen.

Ich wage es anzunehmen, dass die Majorität der betroffenen Wähler sich nicht in der Rolle des Rassisten oder Fascisten wiedererkennt. Was allerdings deutlich geworden ist, ist die Kompromisslosigkeit, welche sich in der schwedischen Gesellschaft ausbreitet, sei es nun rechts oder links. Wer mit Ungeheuern kämpft, muss zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Nicht nur das große Teile der Gesellschaft in genau die Art von Schwarzweißmalerei verfallen welche sie selbst auf der anderen Seite des politischen Spektrums kritisieren, sondern die systematische Ausgrenzung trägt auch dazu bei die Schwedendemokraten als eine wirkliche Alternative in Szene zu setzen. Die aufgewühlte Stimmung lässt die Partei auch umso zivilisierter aussehen.
Das beste Mittel um nicht nur mit den Populisten und Radikalen fertig zu werden, sondern auch um die unterliegenden Ursachen zu verstehen welche Bürger wie dich und mich in ihre Arme treibt, heißt Kritik. Objektiv analysieren. Hierzu muss allerdings die Gesellschaft auch bereit sein ihre oftmals sehr ehrenwerten und geschichtlich auch nachvollziehbaren Standpunkte neu zu interpretieren. Wiederkäuen, wie Nietzsche es sagen würde. Dogma hat noch niemandem geholfen. Für die, die dazu nicht im Stande sind verbleiben die Schwedendemokraten als eine ideale Zielscheibe, ein Mittel um Stimmung bei den eigenen zu machen und sich selbst zu bestätigen. Die schwedischen Rechtspopulisten, Pegida und die AFD sind darüber hinaus nichts Weiteres als Symptome. Die Krankheiten die es zu bekämpfen gilt heißen Dogmatismus, politische Passivität, verhärtete Fronten und kompromisslose Meinungen. Die Symptome sind keine Gefahr für ein freies und humanes Land. Die Gefahr ist stattdessen die intellektuelle Stille die entsteht wenn wir aufhören miteinander zu reden und kritisch über uns selbst nachzudenken und den Platz freimachen für die Parolen der die meinen, sie wüssten schon wie man die Welt zu einer bessern macht.

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